Hallo, heute Teil 5 der Geschichte. Der Autor lässt ausrichten, dass der nächste Teil ein wenig länger auf sich warten lassen wird.
In den folgenden Tagen bekam ich keine weiteren Nachrichten von C.
Da einige Klassenarbeiten anstanden verbrachte ich die meiste Zeit mit
dem Lösen von Hausaufgaben und dem Lernen verschiedener Funktionsarten,
die in Mathe abgefragt werden würden. Die Schule war mir nie besonders
schwer gefallen, aber in letzter Zeit stiegen sowohl die schulischen
Anforderungen, als auch meine eigenen an mich selbst, da das
Endjahreszeugnis diesmal wichtiger sein würde, als die Zeugnisse, die
ich bisher bekommen hatte. Und so löste ich Gleichung um Gleichung auf
dem kleinen Couchtisch des Comicladens, hin und wieder unterbrochen von
einem Spiel mit Vincent oder einem kleinen Gespräch mit Herr Horowitz.
Der Schlüssel blieb die ganze Zeit über in meiner Schreibtischschublade,
nur abends holte ich ihn manchmal heraus, drehte ihn im Licht und
versuchte die Muster zu erkennen, die anscheinend kleine Figuren und
Menschen darstellten. Nach etwa einer Woche hatte ich den Großteil der
Arbeiten hinter mich gebracht und befand mich auf dem Weg nach Hause,
erfüllt von dem einzigartigen Gefühl, welches sich nur an einem
Freitagnachmittag nach einer Woche voller Arbeiten und mit der Aussicht
auf ein freies Wochenende einstellen kann, als ich ihn wieder sah. Es
war dieselbe Station wie beim ersten Mal, als ich ihn gesehen hatte, nur
hatte er diesmal seine alte, grüne Jacke gegen eine neue, dunkelblaue
Winterjacke eingetauscht. Die zerfetzte Mütze trug er allerdings immer
noch. Er stand wartend in der Mitte des Gleises und hatte die Hände in
die Taschen gesteckt. Als er mich am Fenster erblickte, lächelte er und
bedeutete mir mit einer Handbewegung, zu ihm auf das Gleis zu kommen.
Unbehagen beschlich mich. Seit meiner Begegnung auf der Brücke und dem
rätselhaften Brief vor einer Woche hatte ich mir viele Gedanken über den
Mann gemacht, war aber nie zu einem Schluss gekommen. Allerdings war
ich auch neugierig, was er mir wohl sagen würde, hatte ich doch
insgeheim gehofft, ihn wieder zu treffen, so wie er es in dem Brief
angekündigt hatte. Ich verließ die Bahn. „Freut mich, dass du gekommen
bist.“, sagte der Mann ruhig und reichte mir seine Hand, die ich nur
zögernd ergriff. „Was wollen Sie?“, fragte ich, „Und was sollte dieser
Brief?“ „Alles zu seiner Zeit, das ist nicht unbedingt der beste Ort, um
viele Fragen zu beantworten, findest du nicht? Ich kenne ein kleines
Café in der Nähe, wie sieht’s aus hättest du Lust auf einen Kakao?“
Unschlüssig blieb ich einen Augenblick stehen, doch dann willigte ich
ein und folgte dem Mann auf die Straße. Die Station befand sich in der
Nähe des Zentrums der Stadt, überall waren kleine Läden und Restaurants,
Bäckereien, oder Imbissbuden. Es dauerte nur etwa fünf Minuten, bis wir
das Café erreicht hatten. Wir setzten uns an einen Tisch am Fenster und
der Mann bestellte zwei Kakao, die kurz darauf dampfend vor uns
standen. Schließlich begann der Mann zu sprechen: „Du hast mit
Sicherheit eine Menge Fragen und ich werde versuchen, alles, was ich dir
sagen kann so gut wie möglich und der Reihe nach zu erklären. Zunächst
einmal freut es mich, dass du das Angebot angenommen hast.“ „Woher
wollen sie wissen, dass ich das getan habe?“, fragte ich misstrauisch.
„Nun, andernfalls wäre der Schlüssel wohl längst zu mir zurückgekommen,
schätze ich. Er verschwendet nicht gerne seine Zeit.“ Täuschte ich mich
oder war da tatsächlich etwas Belustigung in seiner Stimme zu hören?
„Warst du schon mal an einem Ort, der dir ewig vorkam?“, fragte der Mann
auf einmal, „Ein Ort, der dich durch seine bloße Anwesenheit in seinen
Bann gezogen hat?“
Der Mann hob die Augenbrauen und sah mich
direkt an, dann schien er etwas in meinem Gesicht zu erkennen. „Es ist
nicht wirklich etwas Greifbares, kein Geruch oder Bild und doch liegt
etwas in der Luft, was deinen Kopf mit Gedanken jeder Art erfüllt,
plötzliche Eindrücke, Gefühle und ein bisschen… zu Hause.“ Der Mann
hielt kurz inne und betrachtete seinen Kakao, dann nach einer kurzen
Pause begann er wieder zu sprechen. „Die Wahrheit ist, der Ursprung von
all den Gefühlen, ist nicht der Ort selbst, sondern jemand, der in ihm
wohnt, der auf eine bestimmte Art und Weise mit ihm verbunden ist. Du
siehst ihn nicht und trotzdem ist er da. Er bewacht den Ort.“ Ich
runzelte die Stirn. Zweifel schlichen in mir hoch, nicht nur an dem, was
der Mann sagte, sondern an der ganzen Sache an sich. „Und wer genau
sollte das sein?“, fragte ich, nicht ganz überzeugt. „Oh, es gibt viele
Namen für sie, Bücher wurden über sie geschrieben und wieder vergessen,
Erlebnisse wurden mündlich überliefert und sind wieder verlorengegangen
und trotzdem tauchen sie hin und wieder in einer… Gute-Nacht-Geschichte
auf. Jetzt nahmen meine Zweifel Überhand. Mit unverkennbarer Skepsis in
der Stimme fragte ich schließlich: „Sie meinen… Hexen und Gespenster
und so ein Zeug?“ Der Mann sah mich einen Augenblick an, dann sagte er:
„Ja, genau. Genau das meine ich! Hast du beim Hereinkommen nicht
bemerkt, dass die Kellnerin dort an der Theke kein Spiegelbild hat?“
Meine Nackenhaare sträubten sich. Langsam wandte ich mich um und
betrachtete die Kellnerin, die einige Meter von uns entfernt an der
Theke stand und dabei war, Geschirr abzuwaschen. In dem großen Spiegel
in der Mitte des Regals konnte ich eindeutig ihr Spiegelbild erkennen.
Ich drehte mich wieder zu dem Mann herum. Er hatte ein schiefes Lächeln
aufgesetzt und schaute mir mit einem belustigten, auf eine Antwort
wartenden Blick in die Augen. Ich kam mir dämlich vor. „Ok, das war
sehr komisch, aber was hat das alles mit mir zu tun?“ Das Lächeln des
Mannes verschwand, „Nun, eigentlich hat es eher mit deinem Schlüssel zu
tun. Er ist deine einzige Möglichkeit, dem Ort auf den Grund zu gehen
und deine einzige Möglichkeit, wieder von ihm zurückzukommen, was nicht
weniger wichtig ist.“ Ich war immer noch skeptisch, „Und warum genau
sollte ich überhaupt zu so einem Ort gehen wollen?“ Der Mann zögerte
kurz, dann sagte er: „Vielleicht, weil du den Ort suchst, an dem du zu
Hause bist?“ Ich bekam ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Plötzlich
griff der Mann zu seinem Kakao, öffnete die beiden Papiertütchen mit
Zucker und schüttete sie in die Milch. Nach kurzem Innehalten nahm er
sich noch zwei weitere Tüten aus einem Glas, das in der Mitte des Tischs
stand. Dann langte er unter seine Jacke und zog eine Plastiktüte
hervor. „Ich für meinen Teil trinke meinen Kakao immer mit Marshmallows.
Wirklich eine Schande, dass sie die nicht dazugeben!“
Ich finde immernoch, dass die Geschichte zu wenig vorankommt. Der Text ist ja gut geschrieben, aber in dem ganzen Artikel kam nur "ein seltsamer Ort" als Neues hervor. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur zu ungeduldig :-).
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