Montag, 10. Dezember 2012

Die Geschichte Teil 2



Das Namensschild an der Klingel unserer Wohnung hing schief. Jemand hatte es mit Klebestreifen über das alte Namensschild geklebt, das  Resultat eines hastigen, übereilten Umzuges, war aber niemals zurückgekommen, um die Arbeit zu vollenden. Ich hatte mir seit Wochen vorgenommen, ein neues Namensschild auszudrucken, um es diesmal richtig zu befestigen, aber irgendwie hatte  ich mich nie dazu durchringen können und so blieb die Klingel, wie sie war.  Die Wohnung lag im ersten Stock des Altbaus, dessen beste Tage, falls er denn jemals solche gesehen hatte, fern in den Tiefen einer anderen Epoche schlummerten.  Ich schloss die Tür auf und ging durch den schmalen Flur in mein Zimmer, wo ich mich meiner Schultasche und meiner Jacke entledigte. Danach ging ich wieder zurück in den Flur und klopfte leise an die Tür zum benachbarten Zimmer. Da ich keine Antwort erhielt öffnete ich sie eine Spalt breit und spähte in den kaum beleuchteten Raum.
 Meine Mutter lag schlafend in ihrem Bett, die eine Hand hielt noch immer ein Blatt, von dessen Sorte einige weitere verstreut auf dem Schreibtisch lagen.
Als nächstes schaute ich in das Zimmer meines Bruders.
Mein Bruder saß auf dem Boden und spielte an seiner alten Play Station 2. Seine Schultasche hatte er neben dem Bett abgestellt. Er schaute nicht auf, als ich den Raum betrat.
„Hast du schon was gegessen?“, fragte ich kurz.
Tim spielte weiter unbeeindruckt an seiner Konsole. Ich erkannte das Spiel als eines seiner alten Fantasyspiele wieder. Manchmal spielten wir zusammen, in der letzten Zeit war es dazu aber immer seltener gekommen.
Ich verließ das Zimmer und betrat unsere kleine Küche, machte mich daran Spaghetti in einen Topf voll Wasser zu geben und etwas Milch mit dem Soßenpulver zu verrühren. Eigentlich, dachte ich, ist es erstaunlich, wie lange man überleben kann, ohne auch nur den leisesten Hauch von Kochkünsten zu besitzen. In der letzten Zeit waren die meinen voll auf ihre Kosten gekommen und ich hatte das ganze Repertoire von Fertigpizza über andere Tiefkühlkost bis hin zu gekauftem Chinesischen Imbissessen auffahren müssen. Und doch lebte ich noch.
Immerhin, Spiegelei konnte ich inzwischen machen. Und Kartoffeln und Reis. Und Spaghetti.
Nachdem ich gegessen hatte, ging ich kurz in mein Zimmer, nahm meinen MP3-Player und meine Stoffjacke und machte mich auf den Weg in die Stadt.

Der Comicladen an war etwa 10 Minuten von unserer Wohnung entfernt. Ich hatte ihn einmal entdeckt, als ich noch relativ neu in der Stadt war und mich, nachdem ich eine Station zu früh ausgestiegen war, hoffnungslos verlaufen hatte. Comics waren zwar das Aushängeschild des Geschäfts, man bekam aber auch eine riesige Auswahl an diversen Sammelkarten, Manga, Fantasy- und Science-Fiction-Literatur, Würfelspielen und Sammelfiguren, sowie einige andere Dinge, die je nach Jahreszeit und Stimmung des Ladenbesitzers wechselten. Was den Laden in meinen Augen jedoch am meisten auszeichnete, war eine kleine Sitzecke im hinteren Teil des Geschäfts.
Die einzigen beiden Menschen, die mehr Zeit im Laden verbrachten als ich, waren ein Junge namens Vincent und der Ladenbesitzer, Herr Horowitz. Vincent war ein paar Jahre älter als ich und gehörte quasi zur Innenausstattung des Comicladens dazu. Er las eher Fantasy-Romane als Comics, seine größte Leidenschaft galt aber dem Sammeln verschiedener Sammelkartenspiele, allen voran Myth’93 („Man spricht es Myth ninety-three, nicht Myth Dreiundneunzig, ok??“), welchem er die meiste Aufmerksamkeit widmete und von dem er die meisten Karten besaß, da „es als einziges von allen Spielen die taktischen mit den strategischen und den Rollenspielelementen verbindet!“, so Vincent.
Leider war die Produktion von Myth’93 vor zwei Jahren eingestellt worden, was Vincent nie wirklich überwunden hatte. Wann immer ich den Laden besuchte, fand ich ihn entweder in der Sitzecke am Tisch über einem neuen Deck brütend oder vor dem Laden vor, während er eine Zigarette rauchend in einem Roman las. Herr Horowitz war ein älterer Herr, eigentlich zu alt, wie ich fand, um zu dem Ladeninhalt zu passen, der kein Problem damit hatte, dass ich mir in der Sitzecke einen Comic nach dem anderen durchlas, selten jedoch tatsächlich einen kaufte.
Herr Horowitz las selbst keine Comics, auf jeden Fall hatte ich nie gesehen, dass er je einen gelesen hätte, schien aber trotzdem jedes Mal zu wissen, welcher Comic zu welchem Kunden passte, der seinen Laden betrat und hatte immer eine neue Empfehlung für mich auf Lager, falls ich mir einmal unsicher war, was ich als nächstes lesen sollte. Abends rauchte er manchmal vor seinem Laden Pfeife, während er sich mit Vincent unterhielt, allerdings nie falls noch Kundschaft in der Nähe war.
Als ich den Laden betrat schaute Vincent von seinen Karten auf, die er Tabellenartig auf dem Tisch der Sitzecke ausgebreitet hatte und begrüßte mich mit einem kurzen, konzentrierten Nicken. Herr Horowitz schien in einem kleineren Raum hinter dem Ladentisch mit dem Zählen einiger Comichefte beschäftigt zu sein. Ich ließ mich auf einen der Sessel fallen und zog eine Ausgabe von The Uncanny X-Men aus einem Regal.
Die Welt verschwand zwischen Abenteuern von Scott Summers und  Professor Xavier.

4 Kommentare:

  1. Mit "Horowitz" trägt der Comicladenbesitzer einen ziemlich prominenten jüdischen Namen :D.

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  2. Gibt es noch mehr Teile?

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  3. Es sollen noch mehr Teile kommen, so alle ein bis zwei Wochen...

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  4. Boa, was für billger Spam...

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