Montag, 7. Januar 2013

Geschichte Teil 4



Einmal habe ich geträumt, ich stünde am Rand eines unendlichen Meeres. Das Meer war tiefblau und dunkel und der Sand war weiß. Ich stand am Meer und blickte in die Ferne, während meine Füße im Sand einsanken und der Wind mir durch das Haar wehte. Und auf einmal fing ich an zu weinen, obwohl ich gar nicht traurig war. Und die Tränen vermischten sich mit dem Sand und dem Meer und das Meer öffnete sich, floss um mich herum und nahm mich mit.

II
Am nächsten Tag hatte ich Angst, den Mann noch einmal in der Bahn zu treffen. Ich rechnete fast damit, ihn wieder am Gleis sitzen zu sehen, wieder mit seiner Zeitung und der zerlumpten Mütze.
Aber an diesem Tag warteten nur zwei Passagiere auf dem Bahnsteig, eine junge Frau und ein kleiner Junge mit Schultasche, vom Taubenmann fehlte jede Spur.
Auch als ich von der Schule zurückkam, war er nicht auf dem Gleis zu sehen.
Zu Hause angekommen lud ich meine Tasche ab und ging in die Küche. Heute stand das Mittagessen bereits auf dem Esstisch, Lasagne in einem Topf und dazu ein leerer Teller und Besteck für mich. Tim hatte schon gegessen. Nachdem ich die komplette restliche Lasagne verdrückt hatte, nahm  ich meine Schultasche und machte mich auf den Weg zum Comicladen. Vincent wartete bereits auf mich und zusammen diskutierten wir seinen Deckaufbau für ein vor erst 6 Monaten rausgekommenes Sammelkartenspiel und machten ein paar Übungsspiele. Danach setzte ich mich an meine Hausaufgaben  und hin und wieder gaben mir Herr Horowitz oder Vincent einige Ratschläge, wenn ich nicht weiterkam.
Calvinismus schreibt man nur mit einem s, Junge! Nun ja, wenn ich mir deine Schrift anschaue macht es wohl sowieso keinen Unterschied…“
„Bist du blöd? Du kannst Calvin nicht einen ‚revolutionären Vorreiter, der seiner Zeit voraus war‘ nennen! Der Typ hat Hexen verbrannt!“
Als es Dunkel wurde und Herr Horowitz die Schaufensterläden runterließ, packte ich meine Sachen und ging wieder nach Hause. Kurz nach dem ich in mein Zimmer betreten hatte und meine Tasche neben dem Bett abgestellt hatte, klopfte es an der Tür. Meine Mutter kam in das Zimmer und lächelte, als sie mich sah.
„Da ist ein Brief für dich angekommen, Martin.“
Ich runzelte die Stirn.
„Irgendetwas Wichtiges?“
„Keine Ahnung, es steht kein Absender drauf, ich dachte, vielleicht ist er von einem Freund von dir oder so… es scheint noch etwas drin zu sein. “
Sie reichte mir den Brief, der in der Tat etwas gewölbt war und dem Gewicht nach zu urteilen einen  kleinen metallischen Gegenstand enthielt.
„Wie war die Schule?“
„Gut. Ich war danach bei Herr Horowitz.“
Zuerst  schien sich meine Mutter nicht zu erinnern, doch dann hellte sich ihr Blick auf.
„Ach ja, dieser Buchladen, du hast ein paarmal davon erzählt.“
Einige Sekunden sagten wir nichts, meine Mutter schien irgendetwas auf dem Boden zu fixieren, doch dann sah sie mich wieder an.
„Ich geh dann mal wieder, es ist noch Käse im Kühlschrank und Brot ist im Ofen.“
Sie wandte sich zur Tür. Kurz bevor sie hinausging zögerte ich kurz und sagte dann:
„Mama?“
„Ja?“
„Danke für die Lasagne heute.“
„Kein Problem, gern geschehen, schön, dass sie dir geschmeckt hat.“
Ich sah mir den Brief genauer an. Mein Name und meine Adresse waren säuberlich auf die Vorderseite geschrieben worden. Ich öffnete den Umschlag und sofort viel ein kleiner, länglicher Gegenstand in meine Hand. Es war ein alt aussehender, silbern glänzender Schlüssel. Irritiert legte ich ihn auf meinen Schreibtisch und zog nun einen fein säuberlich geschriebenen Brief aus dem Umschlag hervor.
Ich begann zu lesen.

Lieber Martin,
ich habe dich gestern auf der Brücke erschreckt und ich möchte mich dafür entschuldigen.
Ich wollte dir keine Angst einjagen. Ich wollte dir lediglich ein Angebot vorschlagen.
Du musst nicht zustimmen, aber ich glaube, dass du es tun wirst.
Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass du keine andere Wahl hast.
In diesem Brief befindet sich ein Schlüssel. Nimmst du ihn, wird er dich wegführen. Weiter weg, als du jemals gegangen bist.
Legst du ihn stattdessen in den Umschlag zurück wird er irgendwann verschwinden und alles bleibt, wie es ist. Nichts wird sich ändern.
Es ist ein einmaliges Angebot, du hast nur eine Chance.

Falls du annimmst, werden wir uns wiedersehen und ich werde einige deiner Fragen beantworten können. Falls nicht, werden wir uns nicht mehr sehen.

Mit freundlichen Grüßen,

C.

Ich starrte den Brief an. Dann las ich ihn mir nochmal durch. Und noch einmal. Was sollte das alles? Wer schrieb so etwas? Mit Sicherheit war es ein Scherz. Doch etwas an der ganzen Sache ließ mich daran zweifeln. Etwas an der Art des Schlüssels und des Briefes passte einfach nicht. Es war alles zu aufwendig. Scherzbriefe wurden doch normalerweise auf abgerissene Matheblockseiten geschrieben, oder? Es sei denn, jemand gab sich wirklich Mühe…
Ich nahm den Schlüssel und drehte ihn kurz in der Hand. Feine Muster waren in das Metall eingearbeitet, klein und verschnörkelt und im Licht der Deckenlampe glitzernd. Ich öffnete den Briefumschlag und steckte den Schlüssel hinein.
Nichts wird sich ändern.
Ich zögerte. Ich wollte dass sich etwas ändert. Alles war besser, als einfach wie in den letzten Monaten weiterzumachen. Es musste sich etwas verändern. Doch ich wusste nicht, wie.
Mit dem Gefühl, etwas sehr sehr dummes und einfältiges zu tun, nahm ich den Schlüssel wieder aus dem Umschlag und legte ihn in die mittlere Schreibtischschublade. Sollte der Taubenmann oder wer auch immer doch kommen und sich über mich lustig machen, ich würde einfach sagen, dass ich den Schlüssel längst weggeworfen hätte. Den Brief faltete ich zusammen und legte ihn dazu.
Als ich später in meinem Bett lag, dachte ich, dass heute eigentlich ein wirklich guter Tag gewesen war. Ich dachte an die Lasagne und an Herrn Horowitz und Vincents neues Deck. Immer wieder wanderten meine Gedanken zu dem Brief. Und während ich mich wunderte und über den Schlüssel und die Initialen am Ende nachdachte, schlief ich schließlich ein.

1 Kommentar:

  1. Also gut, will ich mal meine Meinung dazu schreiben: Den zweiten Teil fand ich bisher am besten. Wobei der erste zum Anfang auch gut war. WAR, weil er alleine hätte stehen sollen. Als einzelne Handlung. Die anderen beiden Teile werfen - meines Erachtens - willkürlich Handlungsbröckchen ein, um einen Spannungsbogen zu erzeugen. Die Geschichte und die Beschreibungen sind gut! Aber ich habe Probleme mit dem Schreibstil/Handlungsaufbau. Schwer zu beschreiben, was ich meine. Aber mehr lesen will ich trotzdem!

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